Santiago de Chile: Millionenstadt mit Herz

Landeanflug auf Santiago de Chile, vorbei an den mächtigen Anden (Foto: Stefan Vehoff)

Landeanflug auf Santiago de Chile, vorbei an den mächtigen Anden (Foto: Stefan Vehoff)

Es ist schon eine beeindruckende Landung, wenn die Maschine nach rund 16 Stunden Flugzeit über den mächtigen Anden in den Sinkflug geht. Der Aconcagua – mit seinen 6.926 Metern der höchste Berg Amerikas – ist zum Greifen nahe. Und unter einem leicht braungelblichen Dunst sieht man sie liegen: Santiago de Chile. Die Luftverschmutzung ist ein Problem, unter dem viele Santiaguinos leiden. Von den fast 17 Millionen Chilenen leben und arbeiten knapp sechs Millionen in der Hauptstadt – das bleibt nicht ohne Folgen für die Umwelt. Im Winter ist es besonders schlimm, denn Santiago liegt in einem Talkessel zwischen Küstengebirge im Westen und den Anden im Osten. Oft kann man die direkt an die Stadt angrenzende Bergkette von der Innenstadt aus kaum erkennen, weil der Smog zu dicht ist. Santiago ist groß, laut, überfüllt und staubig. Kann man sich in eine solche Stadt verlieben? Man kann.

Der Plaza de Armas zur Weihnachtszeit. In Chile ist es dann Frühsommer (Foto: Stefan Vehoff)

Der Plaza de Armas zur Weihnachtszeit. In Chile ist es dann Frühsommer (Foto: Stefan Vehoff)

Stadtbild und Sehenswürdigkeiten
Das erste Mal war ich im März 2006 zu Besuch in Santiago, zu dieser Zeit ist es dort Spätsommer. Da mein Freund eine Mietwohnung im Verwaltungs- und Geschäftsviertel Providencia hatte, kam ich hier für die nächsten sechs Wochen unter. Providencia ist eine von insgesamt 32 comunas (selbständige Gemeinden) der Provinz Santiago. Die gleichnamige Gemeinde Santiago bildet das historische Zentrum der Stadt. Der dortige Hauptplatz, Plaza de Armas, hat viele Sehenswürdigkeiten zu bieten: die neoklassizistische Kathedrale, die pastellfarbene Correo Central (Hauptpost) und die Municipalidad de Santiago (Gemeindeverwaltung) – ein Zeugnis der spanischen Kolonialherrschaft aus vergangenen Zeiten. Vor dem Verwaltungsgebäude steht stolz das Reiterstandbild des Konquistadors und Stadtgründers Pedro de Valdivia.

Santiago ist eine Stadt der Gegensätze, in der Alt und Neu aufeinander treffen (Foto: Stefan Vehoff)

Santiago ist eine Stadt der Gegensätze, in der Alt und Neu aufeinander treffen (Foto: Stefan Vehoff)

Im Zentrum pulsiert das Leben, viele Künstler und Schausteller finden sich auf dem Plaza de Armas ein, Menschen spielen Schach oder nehmen auf einer Parkbank eine kleine Auszeit von der Hektik, die einen ständig umgibt. In der Nähe des Platzes befindet sich auch das Teatro Municipal (Stadttheater). Santiago ist nicht nur wirtschaftlich und politisch das Zentrum des Landes, sondern auch kulturell. Es gibt zahlreiche Museen zu entdecken, wie das Museo Histórico Nacional (Geschichtsmuseum) oder das Museo de Bellas Artes (Museum der schönen Künste) am Río Mapocho – ein Fluss, der mitten durch die Stadt fließt. Nicht nur koloniale Prachtbauten, sondern auch moderne Wolkenkratzer prägen das Stadtbild Santiagos. Von letzteren steht eine enorme Anzahl im Bankenviertel Las Condes, das deshalb auch „Sanhattan“, das Manhattan Santiagos, genannt wird. Wirtschaftlich gehört Chile zur Spitze Lateinamerikas, doch klafft die Schere zwischen Arm und Reich weit auseinander. Obwohl die Republik zu einem der sichersten Länder Südamerikas gehört, sollten Touristen die ärmeren Randbezirke Santiagos meiden.

Ponchos auf dem Kunstmarkt Los Domínicos (Foto: Veronika Heibing)

Ponchos auf dem Kunstmarkt Los Domínicos (Foto: Veronika Heibing)

Shopping-Malls und Kunstmärkte
Hauptstraße und Flaniermeile der Metropole ist die Avenida Libertador General Bernardo O’Higgins oder kurz „La Alameda“. Die Alameda zieht sich wie viele avenidas (Alleen) in Santiago kilometerlang durch die Stadt und wird in Providencia zur Avenida Providencia und weiter nordöstlich in Vitacura zur Avenida Apoquindo. Hier gibt es alles, was das Shopping-Herz begehrt: Designer-Läden, Hi-Fi-Geschäfte, Kaufhäuser wie Falabella und Paris, aber auch Fast-Food-Ketten, Bars, Restaurants und die Supermarktketten Jumbo und Lider. Wer lieber alles unter einem Dach haben möchte, sollte eine der riesigen Malls besuchen. Auf der Avenida Kennedy gibt es gleich zwei davon: den Parque Arauco in Vitacura und Alto Las Condes in Las Condes. Die Malls haben auch sonntags geöffnet und neben den vielen Geschäften gibt es dort Restaurants, Cafés und Kinos. Verschiedenes Kunsthandwerk und schöne Souvenirs wie Töpferware, Ponchos aus Alpakawolle, Kupferware und indianische Schnitzereien gibt es im Parque Los Domínicos in Las Condes. Der kleine Markt steht direkt neben einem alten Kloster und hat mir besonders gut gefallen. Vor allem die kunstvollen Töpferwaren konnte ich nicht stehen lassen und habe mir einen Weinkrug mit Bechern gekauft. Einen Poncho und einen „Indio picaro“ (schelmisch grinsende Indianerfigur aus Holz) habe ich auch noch gegen einige Pesos mitgenommen.

Das Wahrzeichen Santiagos: Die schneeweiße Marienstatue auf dem Cerro San Cristóbal (Foto: Stefan Vehoff)

Das Wahrzeichen Santiagos: Die schneeweiße Marienstatue auf dem Cerro San Cristóbal (Foto: Stefan Vehoff)

Ganz schön grün: Inseln in der Innenstadt
Für eine Millionenmetropole und das vorwiegend trockene Klima ist Santiago außergewöhnlich grün. Die Avenidas werden besonders in den reicheren Vierteln wie Vitacura und Las Condes von Bäumen überschattet und es gibt zahlreiche Parks in der Stadt. Direkt an der Alameda liegt der Stadtberg Cerro Santa Lucía, der von einer kleinen Parkanlage umgeben wird. Auf dem Berg erinnert ein spanisches Fort an die Stadtgründung 1541 und ein Denkmal ehrt die Mapuche-Indianer. Eine wahre Insel inmitten der Metropole ist der Parque Metropolitano, der um den Cerro San Cristóbal angelegt wurde. Nicht nur bei Joggern und Radfahrern ist der große Park sehr beliebt. Oben auf dem Berg thront das Wahrzeichen der Stadt: eine 14 Meter hohe, schneeweiße Marienstatue. Um den fabelhaften Ausblick auf Santiago zu genießen, muss man den Berg nicht zu Fuß besteigen: Die funicular (Bergbahn) führt hoch zur Aussichtsplattform. Auf halber Höhe macht sie Halt am städtischen Zoo.

Eine grüne Oase mitten in der Großstadt: Der Cerro Santa Lucia (Foto: Stefan Vehoff)

Eine grüne Oase mitten in der Großstadt: Der Cerro Santa Lucia (Foto: Stefan Vehoff)

Als mein Freund und ich auf einer Picknickdecke im Parque Forestal am Río Mapocho entspannen wollten, kam ein herrenloser Hund vorbei und machte es sich auf unserem Schoß gemütlich. Was ich ganz amüsant fand, fand mein Freund weniger komisch. Die „Flohschleuder“, wie er ihn nannte, folgte uns noch ein ganzes Stück, als wir uns wieder auf den Weg gemacht hatten. Herrenlose Hunde und halb verhungerte Katzen gibt es viele in Santiago, denn wenn die lieben Tierchen zu groß werden, setzen die Chilenen sie kurzerhand vor die Tür. Da Kastrationen weitgehend unüblich sind, vermehren sich die Tiere und werden allmählich zum Problem – ein gewöhnungsbedürftiger Anblick für die meisten Europäer.

Santiagos Nahverkehr
Wer sich zwischen den Stadtvierteln bewegen möchte, hat verschiedene Möglichkeiten: Mit der Metro kann man auf fünf Linien bis um 22.30 Uhr fahren. Taxis und Sammeltaxis (Collectivos) sind im Vergleich zu Deutschland recht günstig und können überall angehalten werden. Man darf sich aber nicht über fehlende Sicherheitsgurte oder kaputte Sitzflächen wundern. Noch preiswerter ist es natürlich mit dem Bus. Diese sogenannten Micros waren bis 2007 noch knall gelb, alt und laut und hielten genau wie Taxis auf ein Handzeichen überall an. Eine Fahrt war ein echtes Erlebnis: Weil die Fahrer nicht pro Stunde, sondern pro Fahrgast bezahlt wurden, drückten sie ordentlich auf die Tube und lieferten sich gegenseitig Rennen durch die Stadt. Seit 2007 gibt es die gelben Busse nicht mehr und der Verkehrsverbund Transantiago versucht Ordnung in das Verkehrssystem zu bringen – mit mäßigem Erfolg: An einen Fahrplan halten sich die Fahrer noch immer nicht und zu den Stoßzeiten sind sowohl Metro als auch Micros hoffnungslos überfüllt. Man sitzt wie die Sardine in der Büchse. Mit der Erneuerung der Busse wurde ein neues Zahlsystem eingeführt: Bezahlen kann man jetzt nur noch bargeldlos mit der Chip-Karte „Tarjeta Bip“, die man vorher an dafür vorgesehenen Stellen mit Geld aufladen muss.

Wanderung im Cajón de Maipu nicht weit von Santiago (Foto: Stefan Vehoff)

Wanderung im Cajón de Maipu nicht weit von Santiago (Foto: Stefan Vehoff)

Ausflüge in die Umgebung
Chile ist insgesamt 4.300 Kilometer lang, aber gerade einmal 200 Kilometer breit. Deshalb kann man von Santiago aus fast ebenso schnell einen Ausflug an den Strand machen wie in die Ski- und Bergsteigergebiete der nahegelegenen Anden. Wandern waren wir mit einer kleinen Gruppe im Cajon del Maipu – ein Tal südöstlich von Santiago gelegen. Hierher zieht es viele Santiaguinos am Wochenende zum Campen, Wandern und Radfahren, um sich von den langen Arbeitstagen und der Luftverschmutzung zu erholen.

Verhältnismäßig günstige Überlandbusse fahren die beliebtesten Ausflugsziele an und bei längeren Fahrten ist oft eine Mahlzeit im Preis enthalten. Die besteht zwar nur aus einem Getränk, einem Joghurt und zwei kleinen, belegten „Brötchen“ (Brot kann man es eigentlich nicht nennen, was man in Santiago bekommt), aber besser als nichts. Mit einem solchen Bus, der verschiedene Komfortklassen bietet, haben wir einen Tagesausflug nach Valparaíso gemacht. Schon vom Namen her hatte ich mir einiges versprochen, aber auch weil „Valpo“ Weltkulturerbe der UNESCO ist. Meine Erwartungen wurden enttäuscht. Jeder Quadratzentimeter der Stadt ist verbaut, es ist laut und dreckig. Hier ist die Kluft zwischen Arm und Reich besonders deutlich zu erkennen. Am Hafen fahren viele Hochseefrachter ein und aus und Seelöwen tummeln sich auf den Bojen. Im Meer baden nur die abgebrühten Chilenen, denn das Wasser ist verdammt kalt. Vom schönen Badeort, wie er uns im Reiseprospekt angepriesen wurde, konnte ich nichts wiederfinden.

Panorama von Valparaíso - der ganze Landstrich ist verbaut (Foto: Stefan Vehoff)

Panorama von Valparaíso - der ganze Landstrich ist verbaut (Foto: Stefan Vehoff)

Die Preußen unter den Lateinamerikanern
Was Santiago besonders sympathisch macht, sind die Menschen, die hier leben. Mit ihrer modernen Kleidung und den europäischen Gesichtszügen entsprechen die Chilenen so gar nicht dem typischen Bild, das man von Lateinamerikanern hat. Sie sind herzlich, unaufdringlich und sehr interessiert. Es kommt vor, dass man als Europäer von einem Chilenen auf seine Herkunft angesprochen wird. „Ach, Sie kommen aus Deutschland? Die Tochter meiner Cousine hat dort für ein Jahr studiert, ein sehr schönes Land, nette Menschen“ – da viele Chilenen deutsche Wurzeln haben, sind die Deutschen hier sehr beliebt. In ihrer Arbeitsmoral sind die Chilenen diszipliniert und ehrgeizig und gelten deshalb auch als die Preußen unter den Lateinamerikanern. Der Spaß kommt trotzdem nicht zu kurz: Die Chilenen feiern gern und ausgiebig.

Santiago de Chile bei Nacht (Foto: Stefan Vehoff)

Santiago de Chile bei Nacht (Foto: Stefan Vehoff)

„¿Cómo etai?“ – Sprachliche Besonderheiten
Sie glauben, Sie sprechen Spanisch? Ein Besuch in Chile wird Sie eines Besseren belehren. Selbst für jemanden, der sich fließend auf Castellano verständigen kann, ist der chilenische Dialekt eine Herausforderung. Die Chilenen sprechen ausgesprochen schnell und unverständlich. Sie verschlucken mit Vorliebe Konsonanten wie das Endungs-s und oft kann man nur raten, was der Gesprächspartner gemeint haben könnte. Um eine Sache besonders zu unterstreichen, nutzen die Chilenen Wortverdoppelungen: So bestellt man in Santiago einen café café, wenn man echten Bohnenkaffe trinken möchte. Verbreitet sind auch Verniedlichungsformen, bei denen die Worte auf –ita oder –ito enden wie un cafecito (ein Käffchen). Wenn aber jemand sagt „Espérese un momentito“ (Warten Sie bitte einen kleinen Moment), wird es sicher keinen kleinen Moment, sondern eine ganze Weile dauern. Mit Englisch kommt man übrigens in den meisten Fällen nicht weiter, obwohl viele Kinofilme auf Englisch und mit spanischen Untertiteln gezeigt werden.

Einfach und deftig: die chilenische Küche
Die chilenische Küche ist einfach und glänzt nicht gerade durch Raffinesse. Auf der Speisekarte steht vor allem Fleisch, besonders Rind und Huhn, wobei die Chilenen Huhn streng genommen nicht als Fleisch bezeichnen. Geflügel und Fisch werden gerne als „fleischlose“ Alternative angeboten – nicht gerade einfach für einen Vegetarier wie mich. Frischen Fisch und Meeresfrüchte isst man vor allem an den Küstenregionen. Chilenisches Nationalgericht ist pastel de choclo – ein überbackener Maisauflauf mit Fleisch. Was man als Tourist auf jeden Fall probieren sollte, sind die empanadas (gefüllte Teigtaschen). Am beliebtesten ist die Variante pino mit einer Art Rinderragout, Rosinen, Oliven, Zwiebeln und Ei, aber mein persönlicher Favorit ist der empanada con queso. Als Aperitif wird Pisco sour (Mixgetränk aus Pisco, Limettensaft, Zucker und Eiklar) gereicht, der auf nüchternen Magen mit Vorsicht zu genießen ist. Chilenen und Peruaner streiten sich heute noch darum, welches Land den Pisco erfunden haben soll. Neben Pisco ist Chile bekannt für seinen ausgezeichneten Wein. Verrückt sind die Chilenen nach palta (Avocado): Sogar bei Mc Donald’s oder Subway werden Burger oder Sandwiches damit belegt. Mein kulinarisches Highlight war ein Abendessen im Giratorio in Providencia. Dort sitzen die Gäste auf einer rotierenden Plattform und genießen neben dem Essen eine atemberaubende 360 Grad Ansicht auf die Stadt. Wir hatten außerdem noch das Glück, vom Restaurant aus eine perfekte totale Mondfinsternis erleben zu können.

Das Stadtviertel Providencia in Santiago de Chile (Foto: Stefan Vehoff)

Das Stadtviertel Providencia in Santiago de Chile (Foto: Stefan Vehoff)

Fazit: Santiago de Chile hat einiges an Kulturschätzen, Outdoor-Aktivitäten und Einkaufsmöglichkeiten zu bieten. Wer ein einfaches, saftiges Steak genauso schätzt wie einen guten Tropfen Wein, fühlt sich auch kulinarisch gut aufgehoben. Die vielen kleinen Unterschiede, vor allem aber das beeindruckende Landschaftspanorama mit den majestätischen Anden und die freundlichen Menschen machen die Stadt sehens- und liebenswert.

Veronika Heibing

Über Veronika Heibing

Veronika Heibing war von 2011 bis 2016 als PR Beraterin bei Claasen Communication tätig. Ihre Schwerpunkte waren Pressearbeit, Online PR und Corporate Publishing.

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