Die Maschine rollt zurück und ich merke, wie das Kribbeln in meinem Bauch wieder stärker wird. Langsam steuern wir die Startbahn an. Die Gerüche sind mir fremd, die lauten Geräusche unangenehm. Die Anspannung wird größer, die Atmung schneller und ich klammere mich fest an meinen Sitz – die Tatsache, dass die Psychologin direkt neben mir sitzt, beruhigt mich kein bisschen. Was sollte sie auch schon machen, wenn das Flugzeug kurz nach dem Abheben doch vom Himmel fällt? Plötzlich gibt der Pilot Gas und die Schubkraft drückt mich tief in die Polster. Mein Körper zittert, die erste Träne rollt. Ich bin bei einer 9.
Einen Tag zuvor: Ich betrete den kleinen Konferenzraum eines Hotels am Frankfurter Flughafen. Zehn weitere Teilnehmer sitzen in einem Stuhlkreis, fast alle wirken nervös. Fünf Männer und sechs Frauen jeden Alters – gemeinsam wollen wir uns einer Angst stellen, die die meisten von uns schon ihr Leben lang begleitet: die Angst vorm Fliegen. Viele haben schon seit Jahren keinen Fuß mehr auch nur in die Nähe eines Flugzeuges gesetzt. Angst schränkt ein, nicht nur die Betroffenen selbst, sondern oft auch deren Mitmenschen wie Familienangehörige. Damit soll nach dem Seminar Schluss sein: Alle haben sich vorab bereiterklärt, im Anschluss an das Training nach Hamburg und zurück zu fliegen – eine Herausforderung für die Seminarteilnehmer.
Mit der Angst umgehen lernen
„Flugangst ist sehr individuell und kann verschiedene Ursachen haben“, erklärt Psychologin Karin Bonner zu Beginn des Seminars. „Einige vertrauen der Technik nicht, andere haben Angst vor unbekannten Geräuschen und Bewegungen. Auch Platzangst, Höhenangst oder Angst vor Kontrollverlust können Gründe für die Flugangst sein.“ So unterschiedlich wie die Ursachen sind auch die körperlichen Reaktionen: Angefangen bei Nervosität, Schwitzen, Herzrasen, Zittern bis hin zur absoluten Panikreaktion mit Weinkrämpfen oder Atemnot, die zur Ohnmacht führen kann – bei den Teilnehmern ist fast alles vertreten. Eines betont Karin Bonner gleich: Das Seminar kann uns von unserer Flugangst nicht „heilen“. Aber es kann uns dabei helfen, die Angst zu verstehen und mit ihr umzugehen. In den nächsten zwei Tagen werden wir uns selbst und unseren Körper genau beobachten. Sind wir in einer bestimmten Situation auf der Angstskala bei einer 1 (absoluter körperlicher Entspannung) oder bei einer 10 (pure Panik)? Nur wer seine Angst richtig einschätzt, kann entsprechend reagieren.
Panik ist wie eine Migräne: unangenehm, aber sie geht vorbei
Angst ist eine Emotion, die meist durch äußere Reize (Objekte, Situationen, Handlungen) hervorgerufen wird. Stress kann diese Angst zusätzlich verstärken. Wer Angst hat, entwickelt einen Tunnelblick, ein Katastrophendenken, und schätzt die aktuelle Situation unter Umständen völlig falsch ein. So ist es auch bei der Flugangst, meint Karin Bonner: „Die Panikreaktion eines Passagiers auf eine Turbulenz ist eine heftige Überreaktion auf eine nicht wirklich gefährliche Situation. Es ist noch nie ein Flugzeug wegen Turbulenzen abgestürzt.“ Die für viele wichtigste Erkenntnis, die uns die Psychologin mit auf den Weg gibt: Man kann vor Angst weder verrückt werden noch sterben. Das mag sich banal anhören, ist aber für Aviophobiker enorm wichtig. Wer einmal in Panik geraten ist, malt sich aus, was als nächstes mit ihm passieren könnte. Werde ich die Kontrolle über meinen Körper verlieren? Wird sich meine Persönlichkeit verändern? Muss ich bald sterben? „Nein“, sagt die Psychologin. „Auf der Panik ist ein Deckel drauf. Danach kommt nichts mehr.“ Sie empfiehlt uns, Panik mehr wie eine Migräne zu betrachten: Die ist unangenehm, aber sie geht vorbei.
Die Technik zu verstehen, hilft
Nach den psychologischen Informationen zur Flugangst übernimmt am Nachmittag ein Pilot das Seminar. Kapitän Frederik Hurd erklärt uns den technischen Aufbau eines Flugzeuges, die Gesetze der Aerodynamik, wie schwierig die Pilotenausbildung ist und warum die meisten Wetterphänomene harmlos sind – alles so aufbereitet, dass der Laie es auch verstehen kann. Im Anschluss an die Theorie geht es in die Werft. Dort zeigt uns der Pilot die verschiedenen Messgeräte und Sicherheitssysteme am „lebenden“ Objekt. Als der A340 in Sichtweite ist, steigt der Puls wieder merklich an. Auch in dem Wissen, dass dieser Flieger nicht abheben wird, geht es einigen Seminarteilnehmern nicht gut, als sie über die Leiter in das Flugzeug steigen – mich eingeschlossen: Die Erwartungsangst vor dem anstehenden Flug morgen kommt hoch. Zudem ist es eng und heiß im Flieger.
In kleinen Gruppen setzen wir uns ins Cockpit und stellen fest: Jedes Gerät ist doppelt vorhanden – fällt eines aus, kann der Pilot problemlos weiter fliegen. Wie man bei so vielen Knöpfen und Schaltern nicht den Überblick verliert, bleibt uns dennoch ein Rätsel. Alles Übungssache, meint Pilot Frederik Hurd. Nach dem Cockpitbesuch dürfen wir die First- und Business Class testen. Wir sind uns einig: In diesen schön breiten Sitzen wäre es mit der Flugangst nicht ganz so schlimm. Hier lässt es sich gut aushalten im Gegensatz zur Holzklasse. Das weiß auch Karin Bonner und weist uns hier in die ersten Entspannungsübungen ein. In einer Kombination aus Atempausen und gezielter Anspannung bestimmter Muskelpartien (progressive Muskelentspannung) nehmen wir aktiv Einfluss auf die Angstreaktion, bis wir wieder ruhig und entspannt sind. Das klappt in der Trockenübung schon ganz gut. Nach der Werftbesichtigung geht ein anstrengender, aber aufschlussreicher erster Seminartag zu Ende.
Positiv Denken und tief durchatmen
Am nächsten Morgen treffen wir uns wieder im Konferenzraum. Alle haben erstaunlich gut geschlafen, dafür dass heute der Flug nach Hamburg ansteht. Aber nun werden beim Gedanken daran einige Gesichter ganz blass. Andere sind zuversichtlicher. Karin Bonner steigt mit einer praktischen Entspannungsübung ein. Nebenher läuft ein Tonband mit den typischen Geräuschen, die ein Flugzeug beim Start so von sich gibt. So können wir uns schon ein wenig daran gewöhnen. Beim anschließenden Mittagessen direkt vor dem Flug bekommt kaum ein Teilnehmer einen Bissen herunter.
Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Gate – Kneifen geht jetzt nicht mehr. Mein Magen dreht sich ganz schön, als ich aus dem Fenster schaue und sehe, wie unser Flieger vorbereitet wird. Nochmal Trockenübung für alle: „Tief durch die Nase ein und durch den Mund ausatmen“, instruiert uns Karin Bonner und leitet die Übung an. Sie erinnert uns an das, was wir am Vortag gelernt haben. Dann steigen wir in die Maschine. Ein paar Minuten später befinden wir uns in der Luft. Es fällt mir schwer, die Übungen wie geplant umzusetzen. Ich gerate ein wenig in Panik. Die Psychologin merkt das und geht die Übungen gemeinsam mit mir durch. „Nicht die Tränen unterdrücken, das staut die Angst nur auf“, erklärt sie mir. Schwierig, sich einfach so gehen zu lassen. Schließlich ist Flugangst bei den meisten mit großem Scharmgefühl verbunden. Nach zehn Minuten intensiver Atemübung und progressiver Muskelentspannung fange ich mich langsam wieder. Während der Landung kann ich mich sogar entspannt mit meinem Sitznachbarn und Leidensgenossen Oliver darüber unterhalten, welcher Schritt als nächstes folgen wird. „Pass auf, gleich fährt der Pilot die Tragflächen aus. Und das Geräusch? Ah, das war das Fahrwerk.“ Nach einem kurzen Aufenthalt am Hamburger Flughafen geht es wieder zurück nach Frankfurt. Beim zweiten Flug lächeln fast alle Teilnehmer, fünf von ihnen schlafen sogar ein. Ein schönes Gefühl zu sehen, wie bei den anderen die Anspannung nachlässt. Ganz so entspannt bin ich noch nicht, aber weit entfernt von Panik. Wir alle sind ganz schön stolz, als wir wieder in Frankfurt ankommen.
Karin Bonner rät uns abschließend, den nächsten Flug innerhalb der nächsten sechs Monate zu unternehmen. Konfrontation ist das einzige, was uns hilft auf dem Weg, die Flugangst Schritt für Schritt zu reduzieren. Es wird immer Höhen und Tiefen geben. Aber jetzt versuchen wir uns auf das zu konzentrieren, was wirklich beim Fliegen passiert, und nicht auf das, was passieren könnte.
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