Schiffslotsen auf Stelzen: Die „Schraubpfahlleuchttürme“ der Chesapeake Bay

Die „Screw Pile Lighthouses" prägten einst die Chesapeake Bay. Heute sind nur noch vier dieser historischen Bauwerke erhalten geblieben. (Foto: CBMM)

Errichtet an stürmischen oder unwegsamen Küsten dienen Leuchttürme seit jeher Seefahrern als Orientierung. Auf viele Menschen üben die Wachposten der Weltmeere eine ungebrochene Faszination aus, denn sie retten Leben, sind oft an malerischen Küstenregionen zu finden und begeistern nicht selten mit einer außergewöhnlichen Architektur. So auch die „Screw Pile Lighthouses“ (zu Deutsch: Schraubpfahlleuchttürme) der Chesapeake Bay.

Einst säumten mehr als 40 dieser hüttenartigen Bauwerke die Bucht, die sich weit in die US-Bundesstaaten Maryland und Virginia hineinzieht und eine der bedeutendsten Naturlandschaften Nordamerikas formt. Auf langen Stelzen ragten die Leuchttürme aus dem Wasser, doch  bis 1960 wurden die meisten von ihnen abgerissen oder durch umhertreibende Eisschollen zerstört. Denn dank ihrer leichten Bauweise waren sie zwar schnell und günstig zu errichten, dafür aber nicht besonders robust. Heute sind nur noch vier dieser historischen Bauwerke in Maryland erhalten – eines davon durfte ich vor kurzem bei einem Tagesausflug nach St. Michaels besichtigen.

Das kulturelle Erbe der Küstenregion bewahren
Bis auf einen wurden alle verbliebenen Schraubpfahlleuchttürme von ihrem ursprünglichen Standort draußen in der Bucht abgebaut und an Land verschiedenen Schifffahrtsmuseen angegliedert – um ihre einzigartige Architektur als wertvolles Kulturgut der Region zu bewahren und um Besuchern das maritime Leben an der Chesapeake Bay nahezubringen. Zu diesen Museen zählt auch das Chesapeake Bay Maritime Museum (CBMM) in St. Michaels. In der idyllischen Kleinstadt hat es sich die private Einrichtung seit ihrer Eröffnung 1965 zur Aufgabe gemacht, besonders die jüngere Generation für das kulturelle Erbe der Bucht zu begeistern.

Das Gelände des Chesapeake Bay Maritime Museums in St. Michaels wird vor allem für Bildungsprogramme genutzt: Besonders Kinder erfahren hier alles über das kulturelle Erbe der Bucht. (Foto: Aloft Aerial Photography)

Das riesige Gelände des CBMM direkt am Wasser beherbergt 35 Gebäude, von denen zwölf für die Öffentlichkeit zugänglich sind und verschiedene Ausstellungen zeigen. Um alle zu erkunden, fehlt uns allerdings die Zeit, als wir im Oktober 2013 für ein paar Stunden zu Besuch in St. Michaels sind. Also führt uns unser Tourguide Gerry Hughes nur durch die Geschichte der Segelboote. Dazu gewährt er uns auch Einblicke in die museumseigene Werft. Hier werden authentische Wasserfahrzeuge der Chesapeake Bay nachgebaut und im Museumsdock ausgestellt. „Wer eine Ausbildung als Bootsbauer machen möchte, kann sich bei uns als Lehrling bewerben“, erklärt Gerry.

In der museumseigenen Werft werden Schiffe wie die alten Skipjacks nachgebaut oder restauriert. (Foto: Veronika Heibing)

Sein Akzent verrät ihn: Er stammt nicht aus der Region, sondern aus Schottland. Dennoch weiß Gerry vermutlich mehr über die Geschichte der Bay als die meisten in St. Michaels. Mit Begeisterung erzählt er uns von Zeiten, als die Fischer zu Hauf mit ihren Skipjacks auf der Bucht unterwegs waren, um Austern und Blaukrabben zu „ernten“. Austern- und Krabbenfischer gibt es auch heute noch in der Region, nur die Skipjacks, die sind fast verschwunden. Gerry wirkt ein wenig betrübt bei dem Gedanken daran, doch das ändert sich, als wir zum „Hooper Strait Lighthouse“ kommen.

Das „Hooper Strait Lighthouse" des Museums kann auch von innen besichtigt werden und zeigt anschaulich, wie genügsam und auch gefährlich der Job eines Leuchtturmwärters auf der Chesapeake Bay war. (Foto: CBMM)

Einsam und gefährlich: das Leben eines Leuchtturmwärters
Wie kein anderes Wahrzeichen stehen die Schraubpfahlleuchttürme für die faszinierende Landschaft und Kultur an der Chesapeake Bay. Das „Hooper Strait Lighthouse“ wurde 1879 erbaut, um die Schiffsleute durch die Untiefen von Hooper Strait zu lotsen, bevor es in den 1960er Jahren zum wichtigsten Ausstellungsstück des CBMM wurde.  „Einsam war das Leben eines Leuchtturmwärters, und gefährlich“, sagt Gerry, als wir uns hinein begeben. Eine Treppe gab es damals nicht, als sich der Leuchtturm noch mitten in der Bucht befand. Das kleine Boot, mit dem der Wärter übersetzte, musste mit einer Seilwinde hochgezogen werden.

Vor allem für die Kleinen ist eine Besichtigung des Leuchtturms das Größte: Hier dürfen sie alles anfassen und in das abenteuerliche Leben eines Leuchtturmwärters tauchen. (Foto: CBMM)

Nicht nur Wind und Wetter machten den Wärtern zu schaffen, auch sauberes Trinkwasser zu bekommen war ein Problem. Die spärliche Einrichtung zeigt, wie genügsam sie sein mussten. Ein kleiner Schreibtisch, ein Waschbecken, eine Kommode, ein Ofen: Alles darf von den Besuchern angefasst und geöffnet werden. „Wir müssen ständig bewegliche Teile der Einrichtung wie Abdeckung oder Griffe ersetzen. Aber das ist gut so, denn es zeigt uns, dass sich die Besucher, vor allem die Kinder, wirklich für das Leben der Leuchtturmwärter interessieren.“ Über eine kleine Rundtreppe geht es bis nach oben in den Turm und raus auf den Balkon. Von hier aus hat man einen tollen Blick auf das Museumsgelände, vor allem aber auf die zerklüfteten Seitenarme der Chesapeake Bay.

Blick vom Leuchtturm auf die Werft des Chesapeake Bay Maritime Museums (Foto: CBMM)

Um das historische Bauwerk nach seiner Stilllegung zu bewahren, wurde das „Hooper Strait Lighthouse" in den 1960er Jahren von seinem urpsrünglichen Standort in der Bucht abgebaut und dem Chesapeake Bay Maritime Museum angegliedert. (Foto: CBMM)

Vier original „Srew Pile Lighthouses“ sind noch übrig
Wieder unten im Hauptzimmer zeigt eine Tafel am Eingang alle Leuchttürme der Bucht und ihren genauen Standort, egal ob historisch oder modern. Darunter sind auch die anderen noch verbliebenen „Screw Pile Lighthouses“. Neben dem „Hooper Strait“ in St. Michaels gibt es das „Seven Foot Knoll Lighthouse“: Er ist der älteste der noch existierenden Schraubpfahlleuchttürme. 1855 an der Flussmündung des Patapsco River errichtet, wurde der Leuchtturm 1997 nach Baltimore transportiert und ist dort seither Teil des Baltimore Maritime Museums. Der 1883 erbaute „Drum Point Lighthouse“ wies den Seefahrern an der Flussmündung des Patuxent River den Weg und gehört heute zum Calvert Marine Museum im Fischerdorf Solomons. Am bekanntesten aber, und mein persönlicher Favorit, ist das „Thomas Point Shoal Lighthouse“: Als einziger Leuchtturm seiner Art steht dieser nämlich noch an seinem ursprünglichen Standort draußen in der Bucht vor Annapolis, und das seit 1875. Im Sommer werden zahlreiche Bootstouren zu dem historischen Bauwerk angeboten – und ein Segeltörn mit der „Woodwind“ steht nun auch auf meiner „Bucket List“.

Der älteste von vier noch erhaltenen Schraubpfahlleuchttürmen ist das „Seven Foot Knoll Lighthouse“ in Baltimore. (Foto: Visit Baltimore)

Der wohl bekannteste Vertreter seiner Art ist das „Thomas Point Shoal Lighthouse“ vor der Küste von Annapolis. Als einziger „Screw Pile Lighthouse" steht dieses noch ein seinem ursprünglichen Standort. (Foto: www.visitannapolis.org)

Die Informationstafel zeigt noch einen fünften Schraubpfahlleuchtturm, doch hierbei handelt es sich nicht um ein Original. Das „Choptank River Lighthouse“ ist eine Nachbildung des gleichnamigen Leuchtturms aus dem Jahr 1871, die sich die Bürger von Cambridge, nicht weit von St. Michaels, gewünscht haben. Er wurde erst 2012 fertiggestellt und zeigt, welch identitätsstiftende Wirkung die „Screw Piles“ für die Bewohner der Chesapeake Bay haben.

Das Crab Claw Restaurant in St. Michaels serviert die Früchte der Chesapeake Bay: Austern und Blaukrabben. (Foto: Veronika Heibing)

Wir verabschieden uns von Gerry und stärken uns im „Crab Claw“ gleich neben dem Museum, bevor wir uns noch ein wenig im schönen Städtchen St. Michaels umsehen. Es gibt, wer hätte das gedacht, Austern und Blaukrabben aus der Region. Ich, als Vegetarierin, begnüge mich mit dem hausgemachten Kartoffelsalat und leckerem Coleslaw (amerikanischer Krautsalat).

Eine Spezialität der Region: „Crab Cakes" mit Kartoffelsalat. (Foto: Veronika Heibing)

Am Nachmittag entdecken wir St. Michaels vom Wasser aus, bei einer Fahrt mit der „Patriot“. Der Kapitän erzählt uns von der lokalen Austern- und Krabbenfischerei, Anekdoten aus dem Krieg von 1812 gegen die Briten und mehr zu den großen Anwesen ehemaliger Plantagenbesitzer, die immer wieder zwischen den Bäumen am Ufer aufblitzen. St. Michaels ist eine wohlhabende Gegend. Bekannte Persönlichkeiten wie Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld haben hier ihre Sommerresidenz und auch Hollywoodstar Jonny Depp soll sich regelmäßig mit seiner Privatyacht in den Ausläufern der Bucht blicken lassen. Bei dem schönen Blick auf das Wasser glaube ich das sofort. Und wenn mir jemand seine Sommerresidenz in St. Michaels vermachen möchte – da würde ich auch nicht nein sagen.

Veronika Heibing

Über Veronika Heibing

Veronika Heibing war von 2011 bis 2016 als PR Beraterin bei Claasen Communication tätig. Ihre Schwerpunkte waren Pressearbeit, Online PR und Corporate Publishing.

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